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Berliner Zeitung

Keine Zwangsrente für Arbeitslose

Union und SPD finden neue Regelung für über 58-Jährige

30. November 2007
von Regine Zylka

BERLIN. Ältere Langzeitarbeitslose müssen auch in Zukunft nicht befürchten, vor ihrem 63. Lebensjahr mit finanziellen Abschlägen in Rente geschickt zu werden. Die sogenannte 58er-Regelung, die Ende des Jahres ausgelaufen wäre, soll in veränderter Form bestehen bleiben. Sie gilt dann ab 2008 unbefristet. Darauf haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD gestern quasi in letzter Minute verständigt.

Die alte Regelung galt seit 1986. Danach können Arbeitslose über 58 Jahren das heutige Arbeitslosengeld II bekommen, ohne sich der Arbeitsagentur für eine Job-Vermittlung zur Verfügung zu stellen. Damit konnte jemand die Zeit überbrücken, bis er ohne finanzielle Abschläge seine Rente beantragen kann. Normalerweise ist das nämlich nicht möglich. Nach dem Sozialrecht zahlt der Staat eine aus Steuern finanzierte Transferleistung nur dann, wenn eine beitragsfinanzierte Leistung ausgeschlossen ist. Normalerweise gilt also:
Rente geht vor Arbeitslosengeld II.

Falsche Befürchtung

Die 58er-Regelung sorgte nach Ansicht der großen Koalition aber dafür, dass zu viele Menschen sich frühzeitig aus dem Erwerbsleben verabschieden. Deshalb sollte diese Ausnahmebestimmung schon vor zwei Jahren auslaufen. Sie wurde jedoch verlängert, weil Sozialverbände, Gewerkschaften und die Linkspartei Druck machten. Das tun sie bis heute. Sie befürchten eine "massenhafte Zwangsverrentung" älterer Arbeitsloser, die wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Abschläge dann dauerhaft weniger Rente bekämen. Rentenexperten hielten ein solches Szenario jedoch für überzogen, weil nach mehreren Rentenreformen nur noch wenige Menschen vor dem 63. Lebensjahr überhaupt eine Rente beantragen können: Schwerbehinderte und Frauen, die vor 1952 geboren wurden. Sie können schon mit 60 Rente beziehen. Sozialpolitiker von Union und SPD wollten sich aber nicht dem Verdacht aussetzen, gerade diesen Personengruppen dauerhaft Rentenabschläge zuzumuten. Deshalb suchten sie eine Anschlusslösung.

Eine einfache Verlängerung kam dabei nicht mehr in Frage, weil Ältere mit der 58er-Regelung nach Ansicht von Union und SPD quasi als nicht mehr vermittelbar abgestempelt werden. Eine solche Politik passe nicht in eine Zeit, in der die Menschen immer älter werden und auch länger arbeiten sollen. Die jetzige Regelung sieht daher vor, dass über 58-Jährige zunächst zwölf Monate für eine Vermittlung zur Verfügung stehen müssen. Nur wenn ihnen in dieser Zeit kein Jobangebot gemacht werden kann, sollen sie sich als arbeitssuchend abmelden und dennoch Arbeitslosengeld II weiter beziehen dürfen. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass sich jemand abmelden muss. Wer möchte, darf weiter um eine Vermittlung ersuchen oder die Angebote der Arbeitsagenturen etwa zur Weiterbildung in Anspruch nehmen. "Damit machen wir klar: Ältere gehören nicht zum alten Eisen", sagte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Andrea Nahles. Die Job-Center müssten alle Möglichkeiten nutzen, Ältere zu fördern.
 
Vom 63. Lebensjahr an gilt dann der Vorrang der Rente vor dem Arbeitslosengeld - aber nur dann, wenn ein solcher Verweis keine "unzumutbare Härte" erzeugt, wie Nahles mitteilte. Das gelte zum Beispiel für Menschen, die als sogenannte Aufstocker neben ihrem Erwerbseinkommen zusätzlich noch Arbeitslosengeld II bekommen. Weitere Härtefälle sollen in einer Verordnung festgelegt werden.

Sozialverbände und Gewerkschaften reagierten zurückhaltend positiv auf die Einigung der großen Koalition. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sprach "von einem Schritt nach vorn". Damit sei der Kreis der Betroffenen eingeengt worden. Der DGB hätte sich allerdings gewünscht, dass kein Arbeitsloser mit Abschlägen in Rente geschickt werde. Auch der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, forderte, Zwangsverrentungen grundsätzlich zu verhindern. Der Kompromiss sei aber vor allem für Frauen und Schwerbehinderte eine Verbesserung. Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, sagte: "Der Druck auf die Bundesregierung bringt begrenzte Erfolge." Auch die Linken bestehen jedoch darauf, Rentenabschläge für zuvor Arbeitslose auszuschließen.